Beim Blick auf die weltweiten Börsen könnte man in den vergangenen Jahren durchaus den Eindruck gewinnen, dass es mittlerweile zu einer Entkopplung zwischen den Aktienmärkten gekommen ist. Diese These wird auch häufig von diversen Nachrichtenportalen unterstützt. Doch kam es in den letzten Jahren tatsächlich zu einer Entkopplung?
Entkopplung verstehen
Um evaluieren zu können, ob eine Entkopplung bereits stattgefunden hat oder kurz bevorsteht, muss man zunächst Klarheit bezüglich des Begriffs haben. Grundsätzlich liegt eine Entkopplung vor, wenn die Rendite einer bestimmten Assetklasse signifikant von den Assetklassen abweicht, mit denen sie eigentlich korreliert. Wenn demnächst beispielsweise in den Nachrichten negativ über den Abbau von Uran oder potenziell negativen Folgen der Förderung des Rohstoffs berichtet wird, die Aktienkurse von Unternehmen, die sich mit der Förderung von Uran befassen, steige, so liegt eine Entkopplung nahe.
Normalerweise ist es so, dass bestimmte Assetklassen in einem ähnlichen Umfang entweder steigen oder fallen. Bei einer Entkopplung hingegen steigt die Rendite einer Assetklasse, bei der anderen Anlageklasse hingegen sinkt die Rendite.
Die seit anderthalb Jahren grassierende Coronapandemie hatte teilweise gravierende Folgen für die Weltwirtschaft. Weltweit gingen Millionen Arbeitsplätze verloren und viele Unternehmen mussten ihren Betrieb einstellen. Quasi unabhängig davon jedoch erholten sich die weltweiten Aktienkurse, nach einem zwischenzeitlichen Kurssturz, rasant. Mittlerweile befinden wir uns sogar in einem Bullenmarkt und auch der deutsche Aktienindex DAX hat 2021 ein Allzeithoch erreicht.
Dieser Sachverhalt mag den ein oder anderen überraschen, da mitunter steigende Infektionszahlen Hand in Hand mit steigenden Aktienkursen marschierten. Selbst neue Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie vermochten die fröhliche Stimmung an den Börsen nicht zu trüben und hatten keinen sonderlich großen Einfluss auf die Börse. Sobald die Börsen infolge negativer Meldungen ein wenig nachgaben, erholten sich am Tag darauf auch wieder und die Kurse stiegen abermals.
Die Bedeutung der Korrelation
Mithilfe der Berechnung der Korrelation können Investoren die Diversifikation ihrer Portfolios vorantreiben. Insbesondere um Risiken zu minimieren, kann man dabei etwa Vermögenswerte ins Portfolio holen, die fast gar nicht miteinander korrelieren. Dadurch schützt man sich davor, dass in einer Krise sämtliche Assets rote Zahlen schreiben.
Beispiele für eine hohe Korrelation sind etwa die Preise für Erdöl und Erdgas oder Aktienkurse von Unternehmen, die in derselben Branche tätig sind. Ein negatives Beispiel hierfür stellt die Dotcom-Blase der späten 90er-Jahre dar. Damals kam es zu einem rapiden Kursrutsch weitestgehend aller US-Amerikanischen Tech-Unternehmen.
In der Praxis gibt es dabei keine Assets, die wirklich 1:1 korrelieren. Um die Korrelation von Assets festzulegen, benutzt man ein statistisches Maß. Dieses bewegt sich im Bereich von -1 bis +1, je näher in diesem Fall der Wert an +1 reicht, desto höher ist die Korrelation. Bei einem Wert von +1, bewegen sich zwei unterschiedliche Vermögenswerte stets in dieselbe Richtung. Wenn der Wert 0 beträgt, liegt de facto kein Zusammenhang zwischen den Anlageklassen. Wenn der Wert hingegen bei -1 liegt, dann liegt eine negative Korrelation vor.
Die Entkopplung der Finanzmärkte
Diese Entwicklung hat unterschiedliche Gründe. Auf die Entwicklung der Börse haben zahlreiche Faktoren Einfluss, darunter unter anderem die aktuelle Geldpolitik. Bereits zu Beginn der Pandemie hat die US-Zentralbank mit dem Ankauf von Staatsanleihen und hypothekarisch gesicherte Wertpapieren begonnen. Dadurch hat man dem Markt Liquidität gegeben und so versucht, die Wirtschaft wieder anzukurbeln.
Damit einher gingen zusätzlich die bekannten Konjunkturboni, die der US-amerikanischen Bevölkerung vom Staat ausgestellt worden sind. Darüber befindet sich fast die gesamte Weltwirtschaft in einem Zyklus geringer Leitzinsen.
Ehemals attraktive Anlageklassen wie Sparbücher oder Tagesgeld garantieren weitestgehend keinerlei Rendite und können noch nicht einmal die Inflation ausgleichen. Man verliert dementsprechend eigentlich Geld, wenn man derzeit in diese Assets investiert. Aktien wurden dadurch für viele Privatpersonen wesentlich attraktiver. Der durch das Internet und neue Online Broker wesentlich vereinfachte Zugang zu Aktien und ETFs förderte diese Entwicklung.
Ferner ist es so, dass die Aktienmärkte niemals ein genaues Abbild der Weltwirtschaft waren. An die weltweiten Börsen geht es in erster Linie um die zukünftige Entwicklung eines Unternehmens. Dadurch, dass bereits mehrere Impfstoffe auf dem Markt sind und die Impfkampagne weiter voranschreitet, geht man davon aus, dass die Pandemie bald überwunden sein könnte oder zumindest effektiv bekämpft werden kann.
Der steigende Einfluss von Tech-Giganten
Hinzu kommt, dass globale Konzerne wie Google oder Amazon einen unverhältnismäßig großen Einfluss auf die Kursentwicklung von großen Marktindizes haben. Hierbei handelt es sich vornehmlich um Unternehmen, die nicht im gleichen Maße von der Pandemie betroffen sind wie Unternehmen, die ihre Geschäftliche offline abwickeln. Amazon und Google haben durch die Entwicklung sogar profitiert.
Dadurch, dass viele Menschen gezwungenermaßen ins Home-Office wechseln mussten, hatten sie zwangsläufig mehr Zeit diese Dienste zu nutzen. Ausgangssperren wie in Spanien oder Deutschland taten ihr Übriges. Die Innenstädte blieben leer und die Internetgiganten profitierten und so wuchs auch ihr Anteil an den großen Indizes. Allerdings muss man sich bewusst sein, dass dadurch sämtliche Branchen, die stärker von der Pandemie betroffen sind, marginalisiert oder unterrepräsentiert werden.
Letztlich ist es unmöglich, die Frage zu beantworten, ob eine Entkopplung zwischen den Aktienmärkten und der Weltwirtschaft vorliegt. Hier stellt vornehmlich die Frage der Perspektive. Jede Wirkung hat auch eine Ursache und aus den eben dargestellten Ausführungen geht hervor, dass die Börse gewiss nicht autark agiert. Vielmehr hat auch die Politik einen enormen Einfluss auf die Entwicklung der Aktienkurse. Insbesondere in Zeiten einer Krise wird dies evident. Die Frage nach der Entkopplung geht quasi immer auch mit der Systemfrage des Kapitalismus einher.
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